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Aus: Ausgabe vom 08.08.2024, Seite 8 / Ansichten

Nebel des Krieges

Ukrainische Attacke auf Kursk
Von Reinhard Lauterbach
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Ein zersörtes Haus in Suscha in der Region Kursk nach dem ukrainischen Angriff

Am zweiten Tag des ukrainischen Vorstoßes auf russisches Gebiet im Bezirk Kursk ist die militärische Lage unübersichtlich. Die ukrainische Seite gibt keinerlei Stellungnahmen ab und will wahrscheinlich erst einmal abwarten, ob bei der Aktion etwas herauskommt, dessen man sich rühmen kann. Das war bei früheren ukrainischen Vorstößen auch so und legt eine Spur, was das Motiv dieses Angriffs mit Truppen sein könnte, über deren Knappheit die Ukraine sonst ständig klagt: Oben auf der Liste der Wahrscheinlichkeiten steht die Absicht, mit Bildern zerstörter Dörfer auf russischer Seite und blau-gelben Fahnen über den Häusern der Dorfverwaltungen die Moral der eigenen Truppen und des zunehmend kriegsmüden Hinterlands aufzumöbeln. Dass mit dem Angriff Eindruck bei den westlichen Sponsoren geschunden werden soll, ist dagegen weniger wahrscheinlich: Das hätte die Ukraine auch mit einem erfolgreichen Gegenangriff auf eigenem Territorium erreichen können. An den dortigen Frontabschnitten ist allerdings Russland der Ukraine nach allem, was auch westliche Medien berichten, haushoch überlegen.

Welche Motive könnte dieser ukrainische Angriff noch haben? Soll ein Faustpfand für künftige Friedensverhandlungen gewonnen werden – nach der Logik: Ihr kriegt das Gebiet Kursk zurück, wir dafür die besetzten und an Russland angegliederten Teile der Bezirke Cherson und Saporischschja? Dazu müsste die Ukraine allerdings erst einmal relevante Teile des Bezirks Kursk erobert haben; einstweilen spielen sich die Kämpfe offenbar in einem Grenzstreifen von maximal zehn Kilometern Tiefe ab. Es wäre allerdings, wenn man dieser Logik folgt, immerhin ein erstes Zeichen, dass sich die Ukraine auf einen Verhandlungsfrieden vorbereitet, von dem sie bisher nicht viel hat wissen wollen. Das wäre die politisch positive Interpretation.

Nüchtern betrachtet, war Russland auf diesen Angriff an dieser Stelle offenbar nicht vorbereitet. Die ersten Kämpfe sollen dem Geheimdienst FSB unterstehende Grenztruppen geführt haben – also nicht die in ukrainischen Statements herumgeisternden 70.000 Mann der russischen Armee, die sich an dieser Stelle auf einen Angriff auf das ukrainische Gebiet Sumy vorbereitet haben sollen. Für einen gewissen Grad an Überraschungsmoment spricht auch die Tatsache, dass Ärzte aus Moskau und St. Petersburg im Eilmarsch zur Versorgung der Verwundeten und der Zivilbevölkerung losgeschickt worden sind. Das deutet darauf hin, dass die Höhe der Verluste womöglich die Kapazitäten des stationären Gesundheitssystems im Bezirk Kursk übersteigt. Hierfür spricht auch, dass aus der Stadt Kursk gemeldet wird, dass die Bürger aufgerufen seien, Blut zu spenden. Ob sie diesem Aufruf wirklich in großer Zahl nachkommen, kann nicht überprüft werden, ohne dass man an Ort und Stelle wäre. So hängt einstweilen der »Nebel des Krieges« über dem Geschehen.

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  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (8. August 2024 um 15:18 Uhr)
    Kein guter Job, den hier der russische Auslandsgeheimdienst abgeliefert hat. Eine Aktion mit mehreren tausend Soldaten und Technik hätte nicht unbemerkt bleiben dürfen. Zumal während eines militärischen Konflikts. Kaum vorstellbar, dass dieser Angriff dauerhaften Erfolg haben wird. Aber allein die Tatsache, dass sich die russische Armee hat überraschen lasen, wird im Westen die Traumfantasie eines ukrainischen Sieges beflügeln.
  • Leserbrief von Wieland König aus Neustadt in Holstein (8. August 2024 um 12:15 Uhr)
    Eines erschreckt doch immer wieder; die russische Seite war wieder einmal überrascht. Ja, wozu hat denn die Regierung Putin ihren Auslandsaufklärungsapparat? Etwa nur dazu, daß die sogenannten Aufklärer in den Botschaften rumsitzen, Geschäftchen in den Gastländern machen und Zeitungsausschnitte sammeln? So dilettantisch, wie die Operation begonnen hat, wo man mit klingendem Spiel in Kiew einzumarschieren gedachte und hoffte, dass die Jungfrauen Weißbrot und Teddybären schmeißen, so geht’s doch weiter. Bislang schien doch sowohl die zivile wie die militärische Aufklärung politisch, militärisch, wirtschaftlich und kulturell im Dunkeln gestanden zu haben. Wenn man jetzt im Generalstab anfängt, mit der Korruption aufzuräumen, so sollte man das konsequenterweise auch in der Aufklärung tun. Oder hat man Angst, dann womöglich wie Prigoschin ins falsche Flugzeug zu steigen? Es ist etwas beruhigend, wenn Reinhard Lauterbach die russischen Siegeshymnen auch mal kritisch betrachtet. Wie man es in den russischen Eliten mit der Wahrheit handhabt, ist ja wohl gut bekannt. Man erinnere sich an die Verzerrungen und Lügen zum Abschuß der koreanischen Verkehrsmaschine im Fernen Osten, der Ereignisse um Tschernobyl, die Geschichten um den Untergang des U-Bootes »Kursk«. Und dann jetzt auch noch die tröpfchenweisen Informationen über die zwischenzeitlichen zwölf Absetzungen von Generälen, Admirälen und Obersten, davon sechs verbunden mit U-Haft. Korruption ist nicht nur die verwirrte Einzeltat, dazu gehören Netze. Und keiner kann sagen, dass davon nicht Schoigu und Gerassimow wußten. Und noch was. Korruption im Militär ist in den allermeisten Fällen verbunden mit Verrat. Wer korrupt ist, ist ganz leicht angreifbar für Verrat. Also bitte, zu Russland/Ukraine weniger Siegeshymnen, dafür mehr Sachlichkeit und Kritik. Das ist man auch den Hunderttausenden gefallenen jungen Männern auf beiden Seiten schuldig.
  • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (8. August 2024 um 08:37 Uhr)
    Herr Lauterbach hätte ruhig W. Putin erwähnen können: Dieser hat der Ukraine nach den Angriffen auf die russische Region Kursk eine »neue große Provokation« vorgeworfen. Es sei mit Raketen auch auf zivile Objekte und Wohnhäuser geschossen worden (www.op-online.de). In welcher Welt lebt eigentlich W. Putin? Merkt er nicht selbst, dass seine Truppen genau dies seit über zweieinhalb Jahren in der Ukraine anrichten? Wer es nicht glaubt, möge z. B. das Titelbild dieses Artikels und das aus dem jW-Artikel »Ausstiegsszenarios gesucht« vom 6.8.2024 ansehen und die Bildunterschriften vergleichen! - Und worin besteht die erwähnte »neue große Provokation«? Hat die Ukraine nicht das international verbriefte Recht, sich gegen den Angreifer auch mit Gegenangriffen zur Wehr zu setzen?
    • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (8. August 2024 um 17:19 Uhr)
      Kein überraschender Kommentar von Ihnen, gehören Sie doch zu denen, die den Beginn des Konfliktes im Februar 2022 verorten. Legen Sie doch einfach mal die Scheuklappen ab und versuchen Sie doch mal Ihren Horizont deutlich zu erweitern. Vielleicht kommen Sie dann, Objektivität und Neutralität vorausgesetzt, zu einer ganz anderen Einschätzung.
      • Leserbrief von Ullrich-Kurt Pfannschmidt (9. August 2024 um 13:34 Uhr)
        In der Tat, Herr Kral, wir kennen uns. Auch Ihre Leserbriefe sind leicht erkennbar: Weil Sie nur die Tatsachen akzeptieren, die mit Ihrer Ideologie vereinbar sind. Im konkreten Beispiel: Der Ukraine-Konflikt, der Ihrer Ansicht nach anscheinend schon vor 2022 begann. Egal, was andere sagen. Dass dieses Land in den damaligen Grenzen weltweit diplomatisch anerkannt war, störte ihn nicht weiter. Für ihn galt und gilt das Prinzip: Es entscheidet nicht die Macht des Rechts, sondern das Recht der Macht. Ist das auch Ihre Meinung?
        • Leserbrief von Onlineabonnent/in Rainer Erich K. aus Potsdam (12. August 2024 um 11:02 Uhr)
          Was andere sagen, werter Herr Pfannschmidt, ist nicht das Entscheidende. Hier gelten nur Tatsachen. Und diese sind leicht zu recherchieren. NATO-Osterweiterung zulasten Russlands, Dutzende Vorschläge Russlands respektive Putins, um eine europäische Friedensordnung unter Berücksichtigung der Interessen aller europäischen Staaten zu schaffen, Maidan-Putsch vom Westen orchestriert und der versuchte Genozid an der ukrainischen Bevölkerung im Donbass durch die eigene Armee, letzter Versuch Putins im Dezember 2021, um einen Konflikt zu vermeiden. Diese Tatsachen gelten für Sie nicht? In diesem Fall ist jede Diskussion mit Ihnen nutzlos.
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (7. August 2024 um 20:49 Uhr)
    Der Leser steht im Regen des Nebels der Berichterstattung. Da geistern also 70.000 Mann der russischen Armee in der Nähe von Kursk herum und die Ukraine schickt 1.000 Mann ins Feuer und eine Brigade (noch mal 1.000?) in die Reserve. Wobei offenbar mehr die russische Zivilbevölkerung ins Feuer geriet, wenn man die verschiedenen Darstellungen in diesem Artikel und in »Vorstoß nach Russland« zusammenfasst. Von Angriffen auf militärische Ziele auf dem Gebiet Kursk wurde in keinem der beiden Artikel berichtet. Es tut mir sehr leid, aber plausible Zusammenhänge konnte ich mir aus den beiden Artikeln nicht zusammenreimen und meine eigenen Spekulationen sind auch nicht hilfreich.

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